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Erstellt: 05. September 2023

Von Fachanwalt für Arbeitsrecht Tobias Wilkens
In einem Kündigungsschutzprozess besteht grundsätzlich kein Verwertungsverbot in Bezug auf solche Aufzeichnungen aus einer offenen Videoüberwachung, die vorsätzlich vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers belegen sollen. Das gilt auch dann, wenn die Überwachungsmaßnahme des Arbeitgebers nicht vollständig im Einklang mit den Vorgaben des Datenschutzrechts steht.
Der Kläger war bei der Beklagten zuletzt als Teamsprecher in der Gießerei beschäftigt. Die Beklagte wirft ihm u.a. vor, am 2. Juni 2018 eine sog. Mehrarbeitsschicht in der Absicht nicht geleistet zu haben, sie gleichwohl vergütet zu bekommen. Nach seinem eigenen Vorbringen hat der Kläger zwar an diesem Tag zunächst das Werksgelände betreten. Die auf einen anonymen Hinweis hin erfolgte Auswertung der Aufzeichnungen einer durch ein Piktogramm ausgewiesenen und auch sonst nicht zu übersehenden Videokamera an einem Tor zum Werksgelände ergab nach dem Vortrag der Beklagten aber, dass der Kläger dieses noch vor Schichtbeginn wieder verlassen hat. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich, hilfsweise ordentlich.
Mit seiner dagegen erhobenen Klage hat der Kläger u.a. geltend gemacht, er habe am 2. Juni 2018 gearbeitet. Die Erkenntnisse aus der Videoüberwachung unterlägen einem Sachvortrags- und Beweisverwertungsverbot und dürften daher im Kündigungsschutzprozess nicht berücksichtigt werden.
Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Die hiergegen gerichtete Revision der Beklagten hatte vor dem Zweiten Senat des Bundesarbeitsgerichts bis auf einen Antrag betreffend ein Zwischenzeugnis Erfolg.
Sie führte zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht. Dieses musste nicht nur das Vorbringen der Beklagten zum Verlassen des Werksgeländes durch den Kläger vor Beginn der Mehrarbeitsschicht zu Grunde legen, sondern ggf. auch die betreffende Bildsequenz aus der Videoüberwachung am Tor zum Werksgelände in Augenschein nehmen. Dies folgt aus den einschlägigen Vorschriften des Unionsrechts sowie des nationalen Verfahrens- und Verfassungsrechts.
Dabei spielt es keine Rolle, ob die Überwachung in jeder Hinsicht den Vorgaben des Bundesdatenschutzgesetzes bzw. der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) entsprach. Selbst wenn dies nicht der Fall gewesen sein sollte, wäre eine Verarbeitung der betreffenden personenbezogenen Daten des Klägers durch die Gerichte für Arbeitssachen nach der DSGVO nicht ausgeschlossen.
Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Datenerhebung wie hier offen erfolgt und vorsätzlich vertragswidriges Verhalten des Arbeitnehmers in Rede steht. In einem solchen Fall ist es grundsätzlich irrelevant, wie lange der Arbeitgeber mit der erstmaligen Einsichtnahme in das Bildmaterial zugewartet und es bis dahin vorgehalten hat. Der Senat konnte offenlassen, ob ausnahmsweise aus Gründen der Generalprävention ein Verwertungsverbot in Bezug auf vorsätzliche Pflichtverstöße in Betracht kommt, wenn die offene Überwachungsmaßnahme eine schwerwiegende Grundrechtsverletzung darstellt. Das war vorliegend nicht der Fall.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 29. Juni 2023 – 2 AZR 296/22 –
Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Niedersachsen, Urteil vom 6. Juli 2022 – 8 Sa 1149/20 –
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Erstellt: 23. Juni 2023

Von Fachanwältin für Arbeitsrecht Anna Fischer
Nein, urteilte das Bundesarbeitsgericht mit Entscheidung vom 20. Juni 2023 zum Aktenzeichen 1 AZR 265/22.
Im zugrunde liegenden Fall zahlte der Arbeitgeber für die erfolgreiche Vermittlung eines Arbeitnehmers an einen Headhunter knapp 4.500,00 €. Nach Ablauf der arbeitsvertraglichen Probezeit sollten weitere 2.230,00 € durch den Arbeitgeber gezahlt werden. Jedoch kündigte der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis bereits nach zwei Monaten fristgerecht innerhalb der Probezeit. Der Arbeitgeber wollte auf der bereits gezahlten Vermittlungsprovision in Höhe von 4.500,00 € nicht vollständig sitzen bleiben und zog daraufhin einen Teilbetrag von knapp 800,00 € vom Gehalt des Arbeitnehmers ab. Besonderheit in diesem Fall war, dass die allgemeinen Geschäftsbedingungen des Arbeitsvertrages dies erlaubten. Sie sahen vor, dass der Arbeitnehmer verpflichtet ist, dem Arbeitgeber die gezahlte Vermittlungsprovision zu erstatten, wenn das Arbeitsverhältnis nicht über 14 Monate hinaus fortbesteht und unter anderem aus vom Arbeitgeber zu vertretenen Gründen von ihm selbst beendet werden würde. Der Arbeitnehmer hatte den Vertrag mit dieser Klausel zwar unterschrieben, wollte die Abwälzung der Vermittlungsprovision aber trotzdem nicht akzeptieren und klagte auf die Auszahlung des einbehaltenen Betrages.
Sowohl das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein als auch das Bundesarbeitsgericht entschieden zu Gunsten des Klägers. Das BAG führte in seiner bislang veröffentlichten Pressemitteilung aus, dass die Abwälzungsklausel den Arbeitnehmer entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteilige im Sinne des § 307 Abs. 1 BGB. Der Arbeitgeber hat grundsätzlich das unternehmerische Risiko dafür zu tragen, dass sich von ihm getätigte finanzielle Aufwendungen für die Personalbeschaffung nicht lohnen, weil der Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis in rechtlicher zulässiger Weise beendet. Der Arbeitnehmer sei ansonsten in seinem Recht auf freie Berufswahl aus Artikel 12 Grundgesetz beeinträchtigt.
Dementsprechend lässt sich abschließend festhalten, dass der Arbeitgeber die von ihm eingesetzten Kosten für die Personalgewinnung auch bei einer entsprechenden Kostenübernahmeregelung in den allgemeinen Geschäftsbedingungen des Arbeitsvertrages zu tragen hat. Eine Abwälzung auf den Arbeitnehmer ist in der Form nicht möglich.