Kann ein Arbeitgeber die Vermittlungsprovision, die er an einen Headhunter zahlt, auf den Arbeitnehmer abwälzen?

 

 

anna fischer neu

Von Fachanwältin für Arbeitsrecht Anna Fischer

Nein, urteilte das Bundesarbeitsgericht mit Entscheidung vom 20. Juni 2023 zum Aktenzeichen 1 AZR 265/22.

Im zugrunde liegenden Fall zahlte der Arbeitgeber für die erfolgreiche Vermittlung eines Arbeitnehmers an einen Headhunter knapp 4.500,00 €. Nach Ablauf der arbeitsvertraglichen Probezeit sollten weitere 2.230,00 € durch den Arbeitgeber gezahlt werden. Jedoch kündigte der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis bereits nach zwei Monaten fristgerecht innerhalb der Probezeit. Der Arbeitgeber wollte auf der bereits gezahlten Vermittlungsprovision in Höhe von 4.500,00 € nicht vollständig sitzen bleiben und zog daraufhin einen Teilbetrag von knapp 800,00 € vom Gehalt des Arbeitnehmers ab. Besonderheit in diesem Fall war, dass die allgemeinen Geschäftsbedingungen des Arbeitsvertrages dies erlaubten. Sie sahen vor, dass der Arbeitnehmer verpflichtet ist, dem Arbeitgeber die gezahlte Vermittlungsprovision zu erstatten, wenn das Arbeitsverhältnis nicht über 14 Monate hinaus fortbesteht und unter anderem aus vom Arbeitgeber zu vertretenen Gründen von ihm selbst beendet werden würde. Der Arbeitnehmer hatte den Vertrag mit dieser Klausel zwar unterschrieben, wollte die Abwälzung der Vermittlungsprovision aber trotzdem nicht akzeptieren und klagte auf die Auszahlung des einbehaltenen Betrages.

Sowohl das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein als auch das Bundesarbeitsgericht entschieden zu Gunsten des Klägers. Das BAG führte in seiner bislang veröffentlichten Pressemitteilung aus, dass die Abwälzungsklausel den Arbeitnehmer entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteilige im Sinne des § 307 Abs. 1 BGB. Der Arbeitgeber hat grundsätzlich das unternehmerische Risiko dafür zu tragen, dass sich von ihm getätigte finanzielle Aufwendungen für die Personalbeschaffung nicht lohnen, weil der Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis in rechtlicher zulässiger Weise beendet. Der Arbeitnehmer sei ansonsten in seinem Recht auf freie Berufswahl aus Artikel 12 Grundgesetz beeinträchtigt.

Dementsprechend lässt sich abschließend festhalten, dass der Arbeitgeber die von ihm eingesetzten Kosten für die Personalgewinnung auch bei einer entsprechenden Kostenübernahmeregelung in den allgemeinen Geschäftsbedingungen des Arbeitsvertrages zu tragen hat. Eine Abwälzung auf den Arbeitnehmer ist in der Form nicht möglich.

Rechtsfrage aktuell

Ist die außerordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses einer Arbeitnehmerin in einer Kfz-Zulassungsstelle gerechtfertigt, die mit den übrigen Kollegen die im Amt verbliebenen entwerteten Kennzeichen für die Aufbesserung der betrieblichen Weihnachtsfeierkasse bei ebay veräußert hat?

 

tobias wilkens

 

 

 

 

 

 

Von Fachanwalt für Arbeitsrecht Tobias Wilkens

Nein. Das Arbeitsgericht Hildesheim hatte mit Urteil vom 17. August 2022 zum Az. 2 C Ca 323/22 Ö die außerordentliche Kündigung einer Arbeitnehmerin der Zulassungsstelle des Straßenverkehrsamtes des Landkreises Holzminden als unwirksam festgestellt. Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen hat in dem vom Arbeitgeber angestrengten Berufungsverfahren mit Urteil vom 8. Februar 2023 zum Aktenzeichen 8 Sa 712/22, welches erst am 22. Mai 2023 in einer Pressemeldung veröffentlicht wurde, die Berufung zurückgewiesen und damit das erstinstanzliche Urteil bestätigt.

Die Klägerin war eine von 12 Beschäftigten, die im November und Dezember 2021 durch den Landkreis Holzminden gekündigt worden ist, weil Beschäftigte der Zulassungsstelle Jahrzehnte lang mit dem Wissen der Bereichsleiter offen gesammelte KFZ-Kennzeichen privat an einen Schrotthändler bzw. über eBay versteigert hatten. Die Erlöse aus den Einnahmen wurden u.a. zur Finanzierung der betrieblichen Weihnachtsfeier verwendet.

Auch das Landesarbeitsgericht kam in seiner Urteilsbegründung zu dem Ergebnis, dass sich die außerordentliche Kündigung der aufgrund ihrer langjährigen Beschäftigungsdauer tariflich ordentlichen unkündbaren Klägerin als unverhältnismäßig erweist, weil der Landkreis die zu Gunsten der Klägerin sprechenden Umstände nicht in ausreichendem Maße in die von ihm durchzuführende Interessenabwägung hat einfließen lassen.

Es hat hierzu festgestellt, dass der Verkauf der Schilder an einen Schrotthändler in der Zulassungsstelle des Beklagten schon jahrzehntelang geübte Praxis war, als die Klägerin ihre Tätigkeit in der Zulassungsstelle begann. Allein schon das Bestehen dieser Praxis, das kollektive, von niemandem in Frage gestellte Sammeln der entwerteten Schilder, bei der Klägerin den Irrtum befördern konnte, es sei rechtlich nicht zu beanstanden, wenn sie hieran mitwirke. Der Umstand, dass mehrere aufeinander folgende Betriebsleiter von der hinsichtlich der Kennzeichen geübten Praxis wussten, diese nicht beanstandeten, teils sogar aktiv hieran mitwirkten, konnte bei der Klägerin die Fehlvorstellung eines legitimen Handelns noch bestärken. Zu Gunsten der Klägerin war weiter zu berücksichtigen, dass sie selbst weder ausländische Kennzeichen über eBay versteigert, noch die Transaktion mit dem Schrotthändler abgewickelt, noch über die Einnahmen Buch geführt oder die eingenommenen Geldbeträge verwaltet hat.

Die weiteren 3 parallelen Berufungsverfahren des Landkreises Holzminden gegen die Entscheidungen des Arbeitsgerichts Hildesheim vom 15.06.2022 und 17.08.2022 endeten durch Vergleich. Die weiteren 8 Kündigungsschutzverfahren endeten bereits durch Vergleich vom 15.06.2022 vor dem Arbeitsgericht Hildesheim.

Hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht bei der Anordnung des Arbeitgebers zur Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ab dem ersten Tag?

 

anna fischer neu

 

Von Fachanwältin für Arbeitsrecht Anna Fischer      

Grundsätzlich nein! Das Bundesarbeitsgericht hat mit einem Beschluss vom 15. November 2022 zum Aktenzeichen 1 ABR 5/22 entschieden, dass ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates in solchen Fällen nicht per se besteht. Da die Ausübung des Bestimmungsrechts gem. § 5 Abs. 1 Satz 3 EntgFG (Verlangen zur Einreichung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung früher als im Gesetz vorgeschrieben) ausschließlich auf individuellen Besonderheiten des einzelnen Arbeitsverhältnisses beruhen kann, besteht ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG nur dann, wenn der Arbeitgeber hierbei eine selbst gesetzte Regel vollzieht oder der Ausübung dieses Rechts eine solche Regelhaftigkeit zugrunde liegt.

Im zugrunde liegenden Fall stritten die Parteien darüber, ob dem Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG zusteht, wenn der Arbeitgeber von mehreren Arbeitnehmenden mit gleichlautender schriftlicher Anordnung gem. § 5 Abs. 1 Satz 3 EntgFG die Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ab dem ersten Krankheitstag einfordert. Die Arbeitgeberin hatte seit dem Jahr 2018 insgesamt 17 Arbeitnehmenden gleichlautende schriftliche Anordnungen mit dem Inhalt erteilt, dass ab Erhalt des Schreibens für den Arbeitnehmenden die Verpflichtung bestehe, jede Krankmeldung durch ein ärztliches Attest vom ersten Fehltag an der Personalabteilung vorzulegen. Eine Begründung war in dem Schreiben nicht angegeben. Der Betriebsrat war der Ansicht, es handele sich bei diesem Vorgehen um eine Maßnahme mit kollektivem Bezug, die das Ordnungsverhalten der Arbeitnehmenden betreffe.

Die Anträge des Betriebsrates hatten in allen Instanzen keinen Erfolg. Das Bundesarbeitsgericht führte hier insbesondere Folgendes aus:

Zwar betreffe das Verlangen des Nachweises der Arbeitsunfähigkeit in einer bestimmten Form und ggf. innerhalb einer bestimmten Frist zwar grundsätzlich das Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer. Ein für die Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG notwendiger kollektiver Sachverhalt sei aber nur gegeben, wenn die entsprechenden Anordnungen des Arbeitgebers regelhaft erfolgen. Dies sei nicht schon deshalb der Fall, weil die Anordnung gegenüber mehreren Arbeitnehmenden gleichlautend und in gleicher Form erfolgen. Ein regelhaftes Vorgehen liege beispielsweise vor, wenn die Anordnung gegenüber allen Arbeitnehmenden, gegenüber einer Gruppe von ihnen oder zumindest immer dann ergeht, wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Hiervon sei aber nicht schon allein deshalb auszugehen, wenn die Anordnung gegenüber Arbeitnehmern mit „häufigen Kurzerkrankungen“ oder mit „hohen Fehlzeiten, darunter vielen Einzelfehltagen“ erteilt wird. Eine Regelung liegt vielmehr erst dann vor, wenn die Maßnahme stets nach den gleichen Voraussetzungen, wie bei Erreichen einer bestimmten Anzahl von krankheitsbedingten Fehltagen, getroffen werden würde. Hierzu hatte der Betriebsrat jedoch nichts vorgetragen. Das Bundesarbeitsgericht sah daher kein Recht zur Mitbestimmung gem. § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG.

Fazit:

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ist zu begrüßen, denn sie ermöglicht dem Arbeitgeber eine entsprechende Handlungshoheit gegenüber Arbeitnehmenden, die häufig kurzerkrankt sind. Solange kein kollektivrechtlicher Bezug besteht, können solche Einzelmaßnahmen ohne Mitbestimmung des Betriebsrates durchgeführt werden. Zwischenzeitlich gilt für die gesetzlich Versicherten das Verfahren zur elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Die vom Bundesarbeitsgericht aufgestellten Grundsätze dürften aber gleichermaßen für das Vorziehen des Zeitpunkts der Verpflichtung gelten, beim Arzt vorstellig zu werden, um sich eine elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausstellen zu lassen.

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