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Erstellt: 28. Oktober 2019
Von Rechtsanwalt Tobias Wilkens
Besteht auch bei langfristig erkrankten Arbeitnehmern eine Belehrungspflicht des Arbeitgebers dahingehend, dass Urlaubsansprüche bei Nichtinanspruchnahme bis zum 31.12. des Kalenderjahres oder zum 31.03. des Folgejahres im Falle der Übertragung erlöschen?
Antwort:
Das LAG Hamm hat in seinem Urteil vom 24. Juli 2019 (Az.: 5 Sa 676/19) diese Frage verneint. Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Parteien stritten über das Bestehen eines Urlaubsanspruches der Klägerin aus dem Jahr 2017. Im Jahr 2017 erkrankte die Klägerin und konnte von dem ihr zustehenden Urlaubsanspruch im Jahr 2017 14 Tage nicht nehmen. Die Klägerin ist seit dem Jahr 2017 durchgehend erkrankt. Mit anwaltlichem Schreiben vom 6. November 2018 forderte die Klägerin die Beklagte zur Abgeltung des Urlaubes für das Jahr 2017 auf. Mit Schreiben vom 12. November 2018 wies die Beklagte den Anspruch zurück. Mit einer am 19. Dezember 2018 bei dem Arbeitsgericht Paderborn eingegangenen Klageschrift hat die Klägerin zunächst die Abgeltung von 14 Urlaubstagen aus dem Jahr 2017 beansprucht. Das Arbeitsgericht Paderborn hat die Klage abgewiesen. Dagegen richtete sich die Klägerin in dem vorliegenden Berufungsverfahren. Das LAG Hamm hat die Entscheidung des Arbeitsgerichts Paderborn bestätigt. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, der restliche Urlaubsanspruch aus dem Jahr 2017 sei nicht verfallen. Sie verwies dazu auf die Entscheidung des BAG vom 19. Februar 2019 (Az.: 9 AZR 541/15). Ihr restlicher Urlaubsanspruch aus dem Jahr 2017 sei schon deshalb nicht verfallen, da die Beklagte es unterlassen habe, die Klägerin rechtzeitig auf den drohenden Verfall hinzuweisen. Nach der Entscheidung des EUGH in dem Vorabentscheidungsverfahren vom 6. November 2018 (Az.: C-684/16) sei festgehalten, dass der Arbeitgeber gehalten ist, konkret und in völliger Transparenz dafür zu sorgen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in die Lage versetzt wird, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, indem er ihn – erforderlichenfalls förmlich – auffordert, dies zu tun. Das Arbeitsgericht Paderborn war der Auffassung, dass diese Grundsätze nicht im Falle einer langzeiterkrankten Arbeitnehmerin gelten, da es dem Arbeitgeber wegen der Arbeitsunfähigkeit gar nicht möglich sei, dafür zu sorgen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Der arbeitsunfähige Arbeitnehmer könne auch bei einer förmlichen Aufforderung, den Jahresurlaub zu nehmen, diesen wegen seiner Arbeitsunfähigkeit nicht antreten. Eine Belehrung als Obliegenheit des Arbeitgebers ergebe somit nur dann Sinn, wenn der Arbeitnehmer in der Lage sei, auf diese zu reagieren und den Urlaub tatsächlich zu nehmen. Dies ist im Falle einer durchgehenden Arbeitsunfähigkeit nicht möglich. Sei die Arbeitnehmerin langanhaltend erkrankt, bestehe eine Obliegenheit des Arbeitgebers zur Belehrung der Arbeitnehmerin über den konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen erst dann, wenn diese die Arbeitsfähigkeit wiedererlangt habe und in der Lage sei, den Urlaub anzutreten. Bleibe diese durchgehend arbeitsunfähig erkrankt, verbleibe es bei dem Verfall der gesetzlichen Urlaubsansprüche 15 Monate nach dem Ende des Urlaubsjahres, ohne dass eine vorherige Belehrung des Arbeitgebers erfolgen müsse. Diese Ausführungen teilte auch das LAG Hamm und ergänzte: Selbst wenn der Arbeitgeber gegen Ende des Jahres 2017 noch nicht wusste, wie lange die Arbeitsunfähigkeit andauern würde, bestand solange keine Belehrungspflicht, wie die Arbeitsunfähigkeit anhielt, da unabhängig von einer Belehrung durch die Arbeitgeberin ein Verfall von Urlaubsansprüchen zum 31. Dezember des Kalenderjahres jedenfalls nicht durch Unkenntnis der Arbeitnehmerin von einem drohenden Verfall und einer notwendigen Beantragung erlöschen konnte. Eine solche Beantragung und Erteilung des Urlaubes war vielmehr objektiv nicht möglich.
Die Belehrung dahingehend, dass bestehende Urlaubsansprüche erlöschen, wenn diese nicht bis zum 31. Dezember des Kalenderjahres beansprucht werden, wäre im Fall einer langzeiterkrankten Arbeitnehmerin schlicht falsch, da diese im Fall der Arbeitsunfähigkeit erst nach Ablauf von 15 Monaten nach dem Ablauf des Kalenderjahres erlöschen, aus dem sie resultieren. Die Frage eines früheren Erlöschens hätte sich erst wieder nach Genesung der Klägerin gestellt und sodann eine Belehrung der Beklagten erfordert. Hierzu ist es aber nicht gekommen. Das BAG hat hierzu ausgeführt, der Arbeitgeber müsse sich bei Erfüllung seiner Mitwirkungsobliegenheiten auf einen „konkret“ bezeichneten Urlaubsanspruch eines bestimmten Jahres beziehen um den Anforderungen an eine „völlige Transparenz“ zu genügen. Er könne seine Mitwirkungsobliegenheiten regelmäßig z. B. dadurch erfüllen, dass er dem Arbeitnehmer zu Beginn des Kalenderjahres in Textform mitteile, wie viele Arbeitstage Urlaub ihm im Kalenderjahr zustehen, ihn auffordern, seinen Jahresurlaub so rechtzeitig zu beantragen, dass er innerhalb des laufenden Urlaubsjahres genommen werden könne und ihn über die Konsequenzen belehre, die eintreten, wenn dieser den Urlaub nicht entsprechend der Aufforderung beantragt würde. Die Aufforderung an einen „klare“ Unterrichtung seien regelmäßig durch den Hinweis erfüllt, dass der Urlaub grundsätzlich am Ende des Kalenderjahres verfalle, wenn der Arbeitnehmer in der Lage gewesen sei, seinen Urlaub im Kalenderjahr zunehmen, er ihn aber nicht beantragt.
Eine absolut überzeugende Entscheidung des LAG Hamm wie auch des erstinstanzlich befassten Arbeitsgerichts Paderborn. Es bleibt abzuwarten, ob sich diese Rechtsprechung auch in Niedersachsen bzw. auf Bundesebene durchsetzen wird.
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Erstellt: 23. August 2019
Von Rechtsanwalt Tobias Wilkens
Antwort:
Bereits vor einigen Monaten behandelten wir die Frage, ob das Vorbeschäftigungsverbot nach § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG verfassungsgemäß ist. Wir stellten damals den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Juni 2018, in dem das Bundesverfassungsgericht die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 2011 gekippt hatte, vor. In Abänderung der bisherigen Rechtsprechung des 7. Senates des Bundesarbeitsgerichts hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass die vom Bundesarbeitsgericht vorgenommene Auslegung mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbaren ist. Das Bundesarbeitsgericht war in ständiger Rechtsprechung seit dem Jahr 2011 der Auffassung, dass das Zuvorbeschäftigungsverbot dann nicht eingreifen würde, wenn die Vorbeschäftigung länger als drei Jahre zurückliegen würde. Aktuell gibt es zu dieser Problematik ein weiteres Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 21. August 2019, Aktenzeichen 7 AZR 452/17. Wird ein Arbeitnehmer 22 Jahre nach der Beendigung seines Arbeitsverhältnisses erneut bei demselben Arbeitgeber eingestellt, gelangt das in § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG bestimmte Verbot der sachgrundlosen Befristung nach einer Vorbeschäftigung in verfassungskonformer Auslegung der Vorschrift regelmäßig nicht zur Anwendung.
Die Klägerin war in der Zeit vom 22. Oktober 1991 bis zum 30. November 1992 bei der Beklagten als Hilfsarbeiterin eingestellt. Mit Wirkung zum 15. Oktober 2014 stellte die Beklagte die Klägerin als Telefonserviceberaterin im Servicecenter erneut ein. Das zunächst bis zum 30. Juni 2015 sachgrundlos befristete Arbeitsverhältnis wurde später bis zum 30. Juni 2016 verlängert. Mit ihrer Klage begehrte die Klägerin die Feststellung, dass ihr Arbeitsverhältnis nicht aufgrund der Befristung am 30. Juni 2016 geendet hat. Das Arbeitsgericht hatte die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht (LAG Schleswig Holstein, Urteil vom 27. Juni 2017, 4 Sa 221/16) hatte ihr stattgegeben.
Die hiergegen gerichtete Revision der Beklagten hatte Erfolg. Laut BAG ist die Befristung des Arbeitsvertrages ohne Sachgrund wirksam. Nach § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG ist die kalendermäßige Befristung eines Arbeitsvertrages ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes zwar nicht zulässig, wenn mit demselben Arbeitgeber bereits zuvor ein Arbeitsverhältnis bestanden hat. Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 6. Juni 2018 (1 BVL 7/14, 1 BVR 1375/14) können und müssen die Fachgerichte jedoch durch verfassungskonforme Auslegung den Anwendungsbereich von § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG einschränken, soweit das Verbot der sachgrundlosen Befristung unzumutbar ist, weil eine Gefahr der Kettenbefristung in Ausnutzung der strukturellen Unterlegenheit der Beschäftigten nicht besteht und das Verbot der sachgrundlosen Befristung nicht erforderlich ist, um das unbefristete Arbeitsverhältnis als Regelbeschäftigungsform zu erhalten. Das Verbot der sachgrundlosen Befristung kann danach unter anderem dann unzumutbar sein, wenn eine Vorbeschäftigung sehr lange zurückliegt. Um einen solchen Fall handelt es sich vorliegend, da die Vorbeschäftigung bei der erneuten Einstellung 22 Jahre zurücklag. Besondere Umstände, die dennoch die Anwendung des in § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG bestimmten Verbots gebieten könnten, lagen nach Meinung des BAG nicht vor.
Die Entscheidung des BAG überzeugt nicht wirklich und erzeugt für den Anwender Rechtsunsicherheit. Stellte das Bundesverfassungsgericht zutreffend und überzeugend darauf ab, dass der Gesetzgeber in § 14 Abs. 2 Satz 2 TzBfG weder eine Dreijahresfrist noch eine andere Jahresfrist gewollt hat, versucht das BAG nun über den Umweg eines unzumutbaren Falls eine Fristenlösung aufrechtzuerhalten. Wann genau eine Unzumutbarkeit anzunehmen ist, kann der Rechtsanwender schwerlich voraussehen. Es sollte deshalb nach Möglichkeit bei einer Zuvorbeschäftigung in der Vergangenheit auf eine Sachgrundbefristung ausgewichen werden, bei der das Zuvorbeschäftigungsverbot gerade keine Rolle spielt.